EU-Konsultation zu Online-Plattformen: Die Reise kann beginnen!

Posted on Sep 18, 2015 in IKT, Medien, Telekommunikation

Braucht Europa eine besondere, auf Online-Plattformen zugeschnittene Regulierung? Die EU-Kommission wird diese und einige andere Fragen zur digitalen Wirtschaft demnächst in Form einer öffentlichen Konsultation an alle EU-Bürger, -Unternehmen, Verbände und Institutionen stellen (geplant: Ende September 2015). Ganz klug wird sie aus den Antworten ganz bestimmt nicht. Zu vielschichtig ist die Bedeutung von Online-Plattformen, zu unterschiedlich sind die Angebote selbst, zu unstrukturiert sind, zumindest teilweise, die Fragestellungen, und zu weit auseinander sind – mit Sicherheit – die Positionen der einzelnen Interessengruppen.

Doch zu den Fakten. Derzeit liegt das Konsultationsdokument in einem informellen Entwurf (Platforms-Consultation_Draft). Die Schwerpunkte der Konsultation sind somit bekannt, kleinere Änderungen wird es aber mit Sicherheit im finalen Text noch geben. Für die Fragenbeantwortung sind laut Aussagen der Kommission die üblichen 12 Wochen geplant.

Konsultiert wird zu vier unterschiedlichen Themenkomplexen:

Im ersten Teil geht es um Online-Plattformen. Was als Online-Plattform gilt, wird in Anlehnung an die Wettbewerbstheorie zweiseitiger Märkte definiert. Als Online-Plattformen gelten demzufolge ‚Dienste auf zwei- oder mehrseitigen Märkten, die das Internet dazu nutzen, Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen, von einander abhängigen Nutzergruppen zu ermöglichen und dabei für zumindest eine Nutzergruppe Wert zu schaffen‘.

Sodann werden u.a. folgende Online-Dienste beispielhaft als Plattformdienste genannt: allgemeine Suchdienste (z.B. Google, Bing), spezialisierte Suchdienste (z.B. Google Shopping, Tripadvisor, Yelp), News-Aggregatoren (z.B. Google News), Online-Marktplätze (z.B. Amazon, ebay, Booking.com), Musik- und audiovisuelle Plattformen (z.B. Spotify, Netflix), Video-Sharing-Plattformen (z.B. Youtube), Online-Zahlungssysteme (z.B. Paypal), Soziale Netzwerke (z.B. Facebook), App-Stores (z.B. Apple Store) und Sharing-Economy-Plattformen (z.B. AirBnB, Uber). [Anm: Auffällig ist zum einen das Fehlen von Online-Kommunikationsplattformen, wie Skype und Whatsapp, andererseits die Nennung reinen Abrufplattformen (wie Netflix), über deren Qualifikation als zweiseitiger Markt mit Sicherheit diskutiert werden wird.]

Inhaltlich interessiert sich die Kommission für

  • die soziale und ökonomische Bedeutung von Onlineplattformen, Probleme bei deren Nutzung und mögliche Abhilfemaßnahmen [Anm: Umfang sehr kurz: Fragen 1-3],
  • Fragen rund um die Transparenz von Online-Plattformen, und zwar in Bezug auf Suchergebnisse, allgemeine Nutzungsbedingungen, und Empfehlungssysteme [ebenfalls recht kurz: Fragen 4-7],
  • den Umgang mit Daten (Beschaffung und Nutzung von personenbezogen und nicht personenbezogen Daten [Frage 8],
  • allgemeine Geschäftspraktiken von Onlineplattformen (Effekte von Exklusivität, Verwendung von Paritätsklauseln, Preisbildung und Preistransparenz, einseitige Veränderung von Geschäftsbedingungen, usw.) sowie besondere Geschäftspraktiken gegenüber Urheberrechte-Inhabern (an digitalem Content) – und zwar sowohl aus Sicht der kommerziellen Nutzer als auch aus Sicht der Plattformanbieter [ausführlicher: Fragen 9-15], einschließlich der Frage, ob die Beziehung zwischen Nutzern und Plattformanbietern verbesserungswürdig ist, und wenn ja, wie [Fragen 18-19], sowie, abschließend,
  • dem Bestehen von Wechselbarrieren, und in diesem Zusammenhang, Probleme im Zugang zu Daten [sehr kurz: Fragen 18-21].

Zahlreiche dieser Bedenken hat die Kommission bereits in der Digitalen Binnenmarktstrategie angeschnitten bzw. in etwas größerem Umfang im zugrundeliegenden Staff Working Document behandelt. Es wäre überraschend, sollte die Konsultation nicht das Ergebnis bringen, dass in vielerlei Hinsicht Online-Plattformen Transparenzmängel aufweisen, dass die Geschäftspraktiken einzelner Onlineplattformen wettbewerblich bedenklich agieren, und dass Wechselbarrieren in vielfacher Hinsicht bestehen. Genauso überraschend wäre es allerdings auch, wenn die geäußerten Bedenken der Marktteilnehmer sich so einfach verallgemeinern ließen. Allein die Auseinandersetzung mit den Geschäftspraktiken von Online-Plattformen in puncto Exklusivität, Paritätsklauseln und Zustandekommen von Preisen ist höchst komplex und in aller Regel wohl nur im Rahmen einer umfangreichen Analyse des Einzelfalls lösbar. Allgemein gültigen, ‚horizontalen‘ Regulierungslösungen eher zugänglich sind sicherlich die potentiellen Problemfelder von Endnutzern, etwa in Fragen der Transparenz und der Verwendung von Daten.

Im zweiten Teil der Konsultation geht es um illegale Online-Inhalte und die diesbezügliche Verantwortung und Rolle von Intermediären – aus heutiger Sicht also jener der Access und Host-Provider. Im Detail fragt die Kommission nach Problemen in der Praxis, der Einordnung neuartiger Dienste (z.B. Video-Sharing-Angeboten) in das rechtliche Schema der E-Commerce-Richtlinie, und ob Melde- und Abhilfeverfahren funktionieren oder aber angepasst werden sollten [Fragen 22-33]. Aus Sicht der permanent unter digitalen Urheberrechtsverstößen leidenden Content- und Medienindustrie ist dieser Teil der Konsultation eine willkommene Einladung, über Lösungsansätze nachzudenken, die die Rolle von Intermediären neu definiert, ohne die Dynamik der Online-Entwicklung zu bremsen.

Der dritte Teil der Konsultation fragt nach den Bedingungen für die Schaffung eines ‚EU-Daten-Binnenmarktes‘, also nach Hindernissen für den freien Fluss von personenbezogenen und vor allem nicht personenbezogenen Daten innerhalb der EU. Der Hintergrund der Fragen ist die Wahrnehmung der Kommission, dass es zahlreiche Hindernisse für einen gesamteuropäischen Datenmarkt gibt, die einer positiven Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Bereich Cloud Services, Internet of Things und Big-Data-Nutzungen entgegen stehen. Adressiert werden u.a. geografische Restriktionen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Speicherung und Verarbeitung von Daten, verbindliche Nutzungs- und Zugangsrechte zu Datenbeständen, sowie Haftungsfragen zwischen Diensteanbietern und Nutzern [Fragen 34-52].

Der letzte Teil widmet sich schließlich der ‚Kollaborativen Wirtschaft‘, besser bekannt als Sharing Economy. Die Kommission begibt sich auf eine Fact Finding Mission, um den Stand der Entwicklung, Herausforderungen und Chancen in Bezug auf die Sharing-Economy und deren Angebote und Anbieter besser zu verstehen. Die Erkenntnisse aus diesem Teil der Konsultation sollen sodann in der künftigen Binnenmarkt-Strategie der DG Binnenmarkt Niederschlag finden. Gefragt wird nach Nutzen und Hindernissen (sowie deren Bewertung), nach dem Verhältnis von Nutzern und Plattformen, Wettbewerbseffekten, Regulierungsmissverhältnissen zwischen traditioneller Anbietern und Anbietern der Sharing-Economy, sowie z.B. auch ganz konkret nach der Verfügbarkeit von Versicherungsprodukten für die Teilnehmer an Sharing-Plattformen [Fragen 53-92]. Die derzeit in (beinahe) ganz Europa und Teilen der Welt offen und hart ausgetragenen Konflikte zwischen Plattform-Anbietern, Institutionen, Vertretern der Old Economy und (auch) Nutzern der Dienste, etwa im Fall von Uber oder AirBnB, zeigen die enorme Breite und Komplexität der Aufgabenstellung, die bestmögliche (regulierungspolitische) Antwort auf das Phänomen der Sharing-Dienste zu finden. Jedenfalls darf man auf die (hoffentlich publizierten) Antworten zur Konsultation gespannt sein.

Fazit: Sieht man vom (schon recht konkreten) Teil 3 ab, ist die Konsultation ein erstes ‚Aufwärmen‘ der Teilnehmer an der Diskussion. Trotzdem: Den vielen unmittelbar wirtschaftlich Betroffenen wird nichts anderes übrigbleiben, als sich (für viele zum ersten Mal) Gedanken darüber zu machen, ob und allenfalls welche Regulierung es braucht, um gesunde Entwicklungsbedingungen für die Online-Plattformwirtschaft in Europa herzustellen.